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Marcel Van Goethem, der Architekt des Hauptsitzes der Nationalbank

Von Stéfane Antoine, Museumsführerin

Dieses nüchterne und strenge Gebäude ist ein gutes Beispiel für den modernistischen Stil. Der Architekt Marcel Van Goethem wollte dem Gebäude ein sicheres und robustes Aussehen ver

Batiment avec des colonnes

In Kürze

Das Hauptgebäude der Belgischen Nationalbank am Boulevard de Berlaimont ist beeindruckend und nüchtern zugleich. Genau das beabsichtigte der Architekt Marcel Van Goethem, der das 200 Meter lange Gebäude entworfen hat. Das Gebäude wurde nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Es ist ein Beispiel für den Modernismus, wovon die monumentale Kolonnade zeugt, mit welcher die Fassade gestaltet ist. Sie verleiht dem Gebäudekomplex ein sicheres und robustes Aussehen, ein Aspekt, auf den Van Goethem besonders geachtet hat. So hat das Gebäude zum Beispiel nur einen Haupteingang, der durch ein Eisengitter geschützt ist. Van Goethems modernistischer Stil steht in scharfem Kontrast zu dem ursprünglichen Gebäude des Architekten Henri Beyaert, das in der zweiten Hälfte des 19. Jh. errichtet wurde. Der neue Entwurf war notwendig geworden, da das alte Gebäude nicht mehr den Anforderungen einer modernen Zentralbank entsprach. Nicht nur der Platzmangel, sondern auch die unterirdische Eisenbahnverbindung zwischen den Bahnhöfen Brüssel-Nord und Brüssel-Midi führten dazu, dass man sich für den Bau eines neuen Gebäudes entschied. Das von Beyaert entworfene Hôtel du Gouverneur wurde in den neuen Gebäudekomplex integriert.

Marcel Van Goethem wurde am 7. Juni 1900 in Brüssel geboren. Er begann sein Studium an der Akademie der Schönen Künste in Brüssel und ging dann nach Frankreich, wo er seine Ausbildung an der Ecole des Beaux-Arts in Paris fortsetzte. Dort schloss er seine Ausbildung im Alter von 25 Jahren mit dem Diplom ab. Nach seiner Rückkehr nach Belgien war er lange Jahre Mitarbeiter und Geschäftspartner des Architekten Alexis Dumont, mit dem er verschiedene öffentliche und private Gebäude schuf. Beispiele unter anderen sind das 1934 fertiggestellte Bürogebäude „Shell‘ und das Bürogebäude der Assurances Générales de Trieste aus dem Jahr 1936, beide in der Rue Ravenstein in Brüssel gelegen.

Neben seinem Beruf als Architekt widmete sich Van Goethem auch der Lehre. So war er ab 1929 als Architekturdozent an der École de Dessin in Saint-Josse-ten-Noode tätig, bevor er von 1937 bis 1945 deren Leitung übernahm. Er gehörte ebenfalls dem Prüfungsausschusses der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Brüssel an. Einige Jahre später, nämlich 1948, wurde er zudem Lehrbeauftragter der Fakultät für Angewandte Wissenschaften an der Freien Universität Brüssel (ULB).

Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, am 1. Februar 1940, wurde Marcel Van Goethem zum Architekten der Belgischen Nationalbank ernannt; er erhielt den Auftrag, das neue Hauptgebäude der Institution zu entwerfen. Das Projekt entstand, weil die bestehenden Gebäude zu klein geworden waren und der Bau der Eisenbahnverbindung zwischen Brüssel-Nord und Brüssel-Midi Möglichkeiten für eine Erweiterung bot. Zahlreiche Gebäude in der Umgebung wurden enteignet und die Nationalbank nutzte die Gelegenheit, um nicht nur neue Büros, sondern auch eine neue Druckerei zu bauen.

Homme assis
Porträt von Marcel Van Goethem © Sado Bruxelles
Maquette
Maßstabsgetreues Modell des Hauptgebäudes der Belgischen Nationalbank © Museum der Belgischen Nationalbank

Mit den Bauarbeiten wurde jedoch erst 1946 nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Der Bau verlief jedoch nicht reibungslos. Die großen Höhenunterschiede, das teilweise aus Treibsand bestehende Gelände und der Tunnel der Nord-Midi-Verbindung, verursachten viel Ärger. Der Lärm und die Vibrationen der Nord-Midi-Verbindung stellten somit eine echte Herausforderung für die Isolierung des Gebäudes dar.

Während die Pläne von 1940 den Abriss aller ursprünglichen Gebäude, einschließlich des Hôtel du Gouverneur, vorsahen, machten sich einige kluge Köpfe 1948 für die Erhaltung des Hôtels stark. Und sie setzten sich durch, wie Sie auf dem Modell des heutigen Gebäudes sehen können, das sich im Museum befindet. Das im eklektischen Stil erbaute Hôtel diente bis 1957 als Amtssitz des Gouverneurs und als Ort für offizielle Empfänge.

Im Rahmen seines Projekts unternahm Van Goethem mehrere Studienreisen nach England, in die Schweiz, nach Skandinavien und in die USA. Er stattete das Gebäude mit allerlei technischen Neuerungen aus, wie z. B. Aluminiumschiebefenstern, beweglichen Trennwänden, Hochgeschwindigkeitsaufzügen mit automatischen Türen, einem modernen Belüftungssystem oder einer fluoreszierenden Deckenbeleuchtung.

Der Grundstein wurde am 20. Januar 1948 gelegt und die Bauarbeiten dauerten mehr als zehn Jahre. Das war eine echte Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass die neuen Gebäude größtenteils auf den Ruinen des alten Gebäudes stehen, die zunächst beinahe vollständig abgerissen werden mussten. Außerdem wurde der Geschäftsbetrieb in dieser Zeit keinen einzigen Tag unterbrochen.

Das monumentale Werk ist durch eine klare Struktur gekennzeichnet. Die Fassade besteht aus einer Reihe hoher, schmaler Steinsäulen. Wie bei anderen Projekten arbeitete Van Goethem mit Ingenieuren zusammen, um die Widerstandsfähigkeit der Gebäude gegen Winddruck sicherzustellen. Vom ästhetischen Standpunkt aus sehen diese Säulen gewissermaßen wie ein Gitter aus, mit dem das Gebäude verschlossen wird, das aber gleichzeitig lichtdurchlässig ist.

Salle des guichets
Schalterhalle der Belgischen Nationalbank © Museum der Belgischen Nationalbank
Grille en métal
Öffentlicher Eingang der Belgischen Nationalbank © Museum der Belgischen Nationalbank

Die Sicherheit des Gebäudes stand im Mittelpunkt der Anforderungen. Aus diesem Grund hat das Gebäude trotz seiner Größe nur einen einzigen Eingang für das Publikum und ist von Metallgittern umgeben. Aus demselben Grund entschied man sich auch für die Trennung von Verwaltung und Druckerei: Die beiden Gebäude liegen auf beiden Seiten des Boulevard de Berlaymont, sind aber durch einen 32 Meter langen unterirdischen Gang miteinander verbunden.

 

Was Verzierungen betrifft, so ist die Fassade des Verwaltungsgebäudes mit drei Figuren aus Aluminium geschmückt, die sich über dem Publikumseingang befinden. Die nördliche und südliche Rotunde sind mit “Zunftpfennige“ geschmückt, d. h. Reliefmedaillons, die an verschiedene Berufe erinnern und von demselben Künstler, nämlich Marcel Rau, ausgeführt wurden. Auf beiden Seiten der Fassade befinden sich außerdem zwei große weibliche Skulpturen. Die Sitzende Frau auf der Südseite wurde von Georges Grard und das Kniende Mädchen auf der Nordseite von Charles Leplae geschaffen.

Die Karriere von Marcel Van Goethem endete jedoch nicht mit dem Bau der Nationalbank. 1953 wird er zum Stellvertreter von Paul Bonduelle, dem leitenden Architekten der Weltausstellung von 1958. 1955 trat er dessen Nachfolge an und sorgte so für die architektonische Abstimmung dieser Großveranstaltung. Van Goethem wollte, dass die Ausstellung für die Architekten aller teilnehmenden Länder das größte jemals realisierte Versuchslabor sein sollte. Er drückte keinem Werk seinen Stempel auf, bemühte sich aber, die Arbeiten so gut wie möglich zu koordinieren und die Probleme jedes Einzelnen zu verstehen. So ermöglichte er den rund 500 Architekten, Ingenieuren und Ausstattern, unter möglichst guten Bedingungen zu arbeiten.

Zur gleichen Zeit, nämlich 1957, war Van Goethem auch an der Planerstellung für das neue Gebäude der Königlichen Münze beteiligt. Es war geplant, das Gebäude in der Nähe der Nationalbank zu errichten. Die Wahl fiel auf einen Standort am Boulevard Pacheco. Da auch eine architektonische Einheit zwischen den beiden Gebäuden angestrebt wurde, wurde Van Goethem mit dem Projekt beauftragt. Aus finanziellen Gründen wurden seine Pläne jedoch nicht vollständig umgesetzt.

Marcel Van Goethem hatte nicht nur einen Lehrauftrag an der ULB. Er war es auch, der die neuen Universitätsgebäude entwarf, darunter das große Auditorium Paul-Emile Janson, das 1958 eingeweiht wurde und nicht weniger als 1.500 Plätze bietet.

Sculpture d'une femme accroupie
Das kniende Mädchen" von Charles Lepla © Museum der Belgischen Nationalbank

Bibliografie

  • Deblon V., La Banque nationale : Une architecture moderne, Musée de la Banque nationale de Belgique, Sous la loupe mai 2012.
  • “In Memoriam Marcel Van Goethem”, dans Revue mensuelle publiée par et pour le personnel de la Banque nationale de Belgique, n°6, juin 1959.
  • Marcel Van Goethem. Architecte D.P.L.G. Œuvres et études. 1940-1959, Bruxelles, Banque nationale de Belgique, s.d.
  • Mardaga P., Le patrimoine monumental de la Belgique. Bruxelles. Pentagone N-Z, Liège, Soledi, 1994.
  • Van Goethem M., “Immeuble de la Banque nationale à Bruxelles”, dans Rythme, n°15, juin 1953.